Mea Culpa

Zur Himmelspforte mit Ablassbriefen! Es gibt sie für Spenden von irdischen Gütern, für deren Besitz man vielleicht sündigt. Pro Runde werden Markt, Helfer und Freudenhaus vorbereitet, dann bietet man verdeckt um Papst, Kaiser, Händler oder Kleiner Sünder als Helfer und führt dann dessen Vorspiel aus. Es folgen Helfer-Aktionen – Ware oder Ablassbrief kaufen, Ware verkaufen, Spenden, Freudenhaus besuchen - eventuell mit Kerbholz höher drehen. Ist ein Dom fertig, werden Spenden ausgewertet. Ist der Markt leer, geht die Seele mit dem höchsten Kerbholzstand Richtung Hölle. Richtung Himmel geht es, wenn der zweite Dom fertig ist, mit Ablassbriefen.  

Dieses Spiel ist in folgenden Sprachen veröffentlicht:

Deutsch, Englisch

Ludografische Angaben

Verlage:
Inventarnummer:
26960
Tags:
ess16
Kategorien:
Setz-/Position, Entwicklung/Aufbau, Experten, komplex
Erscheinungsjahr

2016
Spieler

2 - 4 Spieler
Alter

14 - 99 Jahren
Dauer

bis 90 Minuten

Rezension

Mea Culpa
Rezension
 
Und Papst
Leo X. hat doch recht!
 
Mea Culpa
 
500 Jahre
Reformation
 
2015: 150 Jahre Wiener Ringstraße – 2016:
200 Jahre Kaiser Franz Joseph – 2017: 300 Jahre „Kaiserin“ Maria
Theresia; all diese Jubiläen waren und sind zwar von mehreren Ausstellungen und
vielen neuen Büchern begleitet, eine vergleichbare spielerische Ausbeute war
damit aber leider nicht verbunden; lediglich zum erstgenannten Datum hat das Österreichische
Spiele Museum ein „print-and-play“-Spiel veröffentlicht (http://www.spielemuseum.at/wordpress/?page_id=266).
 
Heuer wird aber auch noch des 500jährigen Jubiläums der 95
Thesen von Martin Luther zum Ablass(un)wesen gedacht. Dieses Ereignis ist
schon deswegen von Interesse, als bis zur Gegenreformation sogar mehr als die
Hälfte der österreichischen Bevölkerung zum protestantischen Glauben gewechselt
hat. Außerdem gibt es zu diesem Thema – neben u.a. „Lutherbrodt“,
„Lutherthaler“, „Lutherwasser“, „Lutherwein“, „Luther-Nudeln“ (!) und
„Luthersocken“ (!!) – sogar gleich mehrere spielerische Neuerscheinungen, u.a.
die beiden „offiziellen“ Spiele „Luther - das Spiel“ (von Erika & Martin
Schlegel, Kosmos) sowie „Martin Luther - das Quiz“ (von Peter Neugebauer, HUCH!
& friends). Das jeweilige Spielgefühl entspricht dort aber leider zu sehr
den (bösen) protestantischen Klischees von freudlosem Fleiß, spaßfreier Sparsamkeit,
karger Genügsamkeit, peinlichem Pflichtbewusstsein bzw. lustfeindlichem
Luxusverzicht; insoweit wäre das Thema zwar „perfekt“ umgesetzt, doch steht zu
befürchten, dass weitere Partien erst wieder im Jahre 2046 (dem nächsten
500jährigen Jubiläum) unternommen werden.
 
Einen erfreulich anderen Ansatz verfolgt „Mea Culpa“:
Hier werden wir spielerisch nämlich nicht bloß 500 Jahre zurückversetzt, wir
dürfen/müssen auch das damalige Leben erdulden. Früher war aber nicht nur alles
besser, sondern auch viel einfacher:  Sündigen, Ablassbriefe kaufen, in den
Himmel kommen – das war damals die unheilige Dreifaltigkeit eines erfüllten
Lebens. Leider hat uns nicht nur Martin Luther, sondern später auch noch die
katholische Kirche den Ablasshandel verboten. Müssen wir armen Sünder jetzt
alle in der Hölle schmoren?
 
Dieses Schicksal bleibt immerhin einem von uns erspart,
vorausgesetzt er erwirbt ausreichend – richtig – Ablassbriefe. Die gibt es
sogar in vier Farben, wobei jeder einzelne Ablassbrief einen Punkt zählt, jedes
komplette Set jedoch gleich deren acht! Die Siegpunkteleiste zeigt uns außerdem
nicht nur den aktuellen Stand, sondern auch wohin es langgeht: In der einen
Richtung gen Himmel, die andere Richtung führt zur Hölle! Also kein Wunder,
wenn sich immer mehr Schweißtropfen auf der Stirne bilden, vermeint man doch
schon die stets heißer werdenden Höllenqualen (zumindest optisch) zu erfühlen;
während einer Partie sammeln nämlich alle ausschließlich Minuspunkte (bzw. weitere
Schritte näher zur Hölle) an.
 
Spielmechanisch funktioniert das (letztlich nur solitäre)
Erlösungswerk im Wesentlichen über die Versteigerung von vier Rollen – Papst,
Kaiser, Händler und kleiner Sünder – zu Beginn jeder Runde. Dabei ist nicht nur
mit den eigenen Münzen hauszuhalten, auch die Kerben auf den jeweiligen
Kerbhölzern sowie „Sündensteine“ dienen als zwei weitere „Währungen“. Die
Kerbhölzer sind sechsseitige und (auf der Folterbank?) langgestreckte Würfel,
leider aber bloß aus Pappe und nicht tatsächlich aus Holz; wobei die gewählte
Form natürlich eine sehr freie Interpretation dieses Gegenstandes darstellt.
Pikanterweise darf sich dann (nur) jener Mitspieler, der nach dieser
Versteigerung am meisten am Kerbholz hat, die zusätzlich von diesem noch gebotenen
Münzen behalten. (Gleichstände werden hier und stets – so auch hier – zugunsten
desjenigen entschieden, dessen Siegpunktemarker aktuell näher zur Hölle steht).
Sollte das nicht für ein Maximum beim „Kerbholzinvestment“ sprechen? Nein, denn
das Kerbholzkonto wird auch noch mit anderen, sehr wertvollen Aktionen belastet,
und mehr als sechs Kerbholzkerben können pro Mitspieler pro Runde nicht
verbraucht werden; außerdem kann ein verschwenderischer Umgang mit diesen
Kerben zu Rundenende weitere Minuspunkte bzw. Schritte näher zur Hölle
bedeuten.
 
Die (nur) vier verschiedenen (Haupt-)Aktionen sind
zunächst einmal grundsätzlich für alle gleich: Waren bzw. (rote/grüne)
Ablassbriefe einkaufen, Waren verkaufen (um dadurch Geld zu lukrieren), Waren
bzw. Geld für den Bau von Kirchen spenden (um dafür später mit weiteren
Ablassbriefen, insbesondere den blauen, belohnt zu werden) oder gar das
Freudenhaus (!) besuchen. Dort wird aber nicht die „Luther-Nudel“ al dente
zubereitet, sondern wir können Ereigniskarten mit Vorteilen für uns selbst oder
mit Nachteilen für die Mitspieler aktivieren; außerdem kann man nur im
Freudenhaus die gelben – und somit tendenziell am wertvollsten – Ablassbriefe
erhalten.
 
Jede Rolle bietet erwartungsgemäß einen anderen
speziellen Vorteil:
Der kleine Sünder darf schon zu Rundenbeginn das
Freudenhaus besuchen und muss für diese Aktion auch noch weniger „bezahlen“ als
die anderen. Dessen Nachteil ist aber, dass eine Runde schon wieder vorbei sein
kann, bevor der kleine Sünder seine zweite (bzw. eventuell sogar erst seine
erste) Hauptaktion ausführen konnte.
Der Händler darf sich nach jeder eigenen Aktion
zusätzlich immer gratis eine Ware oder einen (grünen/roten) Ablassbrief nehmen.
Der Kaiser hat zum einen Einfluss darauf, an welcher der
drei Baustellen die dortige Kirche weitergebaut wird (bis Spielende werden
nämlich nur zwei fertiggestellt); zum anderen darf er auch gleich zwei Sachen
auf einmal spenden, was sich vor allem gegen Spielende als sehr wertvoll
erweisen kann, da man sonst vielleicht noch auf seinen bis dahin angehäuften
Besitztümern sitzen bleibt (und diese einem bekanntlich weder im Himmel noch in
der Hölle etwas nützen werden).
Und der Papst kann das Freudenhaus (bzw. die dort sich
befindlichen sechs Felder) sogar grundsätzlich ganz gratis aufsuchen; danach
haben die Mitspieler aber die Möglichkeit, auf dessen konkrete Auswahl zu
tippen bzw. diese zu erraten. Gelingt dies, kommt das dem Papstspieler sogar
teurer als dem „Fußvolk“ zu stehen!
 
Die ansprechende Gestaltung des Spielmaterials lässt zwar
ein flottes und spaßiges Familienspiel mit bereits mündigen Teenagern erwarten,
dieser Eindruck täuscht jedoch. Nicht nur gilt es einige – zunächst wenig
intuitive – Regelfeinheiten sowie Ausnahmen von Ausnahmen zu beachten, auch
kann der Spielverlauf frustrierend ausfallen: Da spendet man etwa brav bei den
diversen Kirchen, nur um bei der Auswertung vielleicht festzustellen, dass man
bloß Dritter geworden ist und überhaupt gar keine Belohnung (bzw. weitere
Ablassbriefe) erhält. Oder dass man viel Energie in eine bestimmte
Spendenkategorie gesteckt hat, für den letztlich dadurch lukrierten Ertrag aber
vielleicht sogar weniger als die Hälfte der eigenen Spenden ausgereicht hätte.
In gewisser Weise lässt sich das zwar durch eine klüger und aufmerksamer
gewordene Spielweise vermeiden, doch ist es nur schwer nachzuvollziehen, wohin
und wieviel die Mitspieler tatsächlich bereits gespendet haben. Andererseits
machen diese Überraschungseffekte und das nur teilweise planbare „Chaos“ auch
einen großen Teil des Spielreizes aus, sofern man gewillt ist, sich darauf
einzulassen.
 
Im Einzelfall wirklich schlimme Auswirkungen kann aber
etwa die Aktivierung einer bestimmten Freudenhaus-Karte haben, mit welcher vom
aktuellen Papst ein gelber Ablassbrief gestohlen wird. Die gelben Ablassbriefe
können faktisch nämlich einen Unterschied von plus/minus fünf Punkten bedeuten
(was hier durchaus nicht wenig ist). Zwar könnte man sich bei der Versteigerung
der Rollen auf dieses drohende Unheil einstellen, doch treffen wird dieser
Unbill zumeist nicht einmal den Führenden, sondern eher jenen, der aktuell eben
über zu wenig Mittel zum Höherbieten verfügt und dem auf diese Weise vielleicht
sogar sein einziges Set „zerrissen“ wird. Auch beim (bzw. nach dem) Bieten
selbst kann man natürlich seine frustrierenden blauen Wunder erleben, von viel
zu viel bis ganz knapp daneben ist natürlich alles möglich.
 
Grundsätzlich gefällt zwar das variable Ende einer Partie
(nämlich nach der Fertigstellung der zweiten Kirche), doch kann das im Ergebnis
eine Dauer von 9 bis 11 eher repetitiven Runden bedeuten, was sich für den
gebotenen Spielreiz doch als zulange anfühlt. Und leider gibt es einige
unverständliche Mängel beim Spielmaterial: So können die Ablassbriefe zur Neige
gehen, ohne dass in der Anleitung ein Hinweis zu finden ist, wie dieser Umstand
aufzulösen wäre (wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass diese Beschränkung
der Anzahl eine bewusste Entscheidung gewesen wäre; eher hat man vor der
Produktion wohl auf das Nachzählen bzw. auf einen „Sicherheitspolster“
vergessen). Auch die auf den Sichtschirmen abgedruckten Regelübersichten sind
keine gute Lösung, weil eigentlich nur knieend (bzw. in Büßerstellung) gut
lesbar (aber vielleicht ist das sogar ein gewollter Effekt). Die Sichtschirme
sollten zweckmäßiger Weise also besser als (flach am Tisch liegende)
Kurzspielregel verwendet und alternative Sichtschirme aus einem anderen Spiel
ausgeborgt werden. Dafür ist es beeindruckend, welch stabile
streichholzschachtelähnliche Gebilde (mit zwei Kammern) sich aus dünnem Karton
basteln lassen. Sehr positiv hervorzuheben ist jedenfalls die thematische
Umsetzung des unverbrauchten Themas: Diese ist sehr stimmig und sehr witzig
gelungen, sodass sich „Mea Culpa“ etwa auch als originelles Geschenk zu einer
Firmung bzw. Konfirmation eignet (zumal die Grafik des Spielplans rund wie eine
Uhr gestaltet ist).
 
Harald Schatzl
 
Spieler: 2-4
Alter: 12+
Dauer: 90min+
Autor: Rüdiger Kopf, Klaus Zoch
Grafik: Franz Vohwinkel
Preis: ca. 40 Euro
Verlag: Zoch Verlag 2016
Web: www.zoch-verlag.com
Genre: Biet- und Sammel-/Bauspiel
Zielgruppe: Mit Freunden
Version: multi
Regeln: de en
Text im Spiel: nein
 
Kommentar:
witzige satirische Umsetzung eines unverbrauchten Themas
gute Mischung aus Taktik und Unplanbarkeit
Mängel beim Spielmaterial
zu zweit eher nicht zu empfehlen
Spieldauer kann sich als zu lang anfühlen
frustrierendes Spielgefühl möglich
 
Vergleichbar:
Sonstige Rollenwahl- bzw. Bietspiele
 
Andere Ausgaben:
Derzeit keine
 
Meine Einschätzung: 5
 
Harald Schatzl:
Das „inoffizielle“ Spiel zum Luther-Jubiläum (1517/2017) ist
ein taktisches Rollenwahl- bzw. Bietspiel mit einem sehr originell-witzigen
Thema. Einige etwas sperrige und nicht wirklich intuitive Regeldetails
erschweren leider den Zugang, sodass eigentlich nur Vielspieler (mit
Frustrationstoleranz) damit relativ problemfrei werden umgehen können; diese
könnte aber der nur schwer planbare und etwas chaotisch anmutende Spielverlauf
abschrecken.
 
Zufall (rosa): 2
Taktik (türkis): 2
Strategie (blau): 1
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 2
Kommunikation (rot): 2
Interaktion (braun): 3
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0