
Lost Temple
Die Spieler verkörpern Abenteurer, die 1927 im Urwald Südostasiens zu einem sagenumwobenen Tempel unterwegs sind. Im einfachen Laufspiel zieht man seine Figuren Richtung Tempel. Plättchen auf Ereignisfeldern darf man umdrehen und ausführen; sie liefern Plättchen liefern entweder Smaragde, Bewegungspunkte, den Startspielermarker oder Macheten, oder kosten Smaragde oder Macheten. Der eigentliche Reiz liegt in der Charakterwahl, man wählt für jede Runde einen von neun Charakteren und nützt dessen Spezialfunktion. Der Schamane benennt einen anderen Charakter, mit dem er Platz tauscht, der Dieb stiehlt einem Charakter alle Smaragde; der Priester zahlt Smaragde und geht zum nächsten Temple, der Älteste analog zum nächsten Dort. Der Kundschafter tauscht Smaragde gegen Bewegung, der Kanufahrer in zwei Schritte pro Smaragd, die Seherin erlaubt Anschauen und Vertauschen der Ereignisplättchen, der Forscher bekommt eine Machete und das Kind schließt zur nächsten Figur vor sich auf. Wer als Erster den Tempel erreicht, gewinnt.
Dieses Spiel ist in folgenden Sprachen veröffentlicht:
Deutsch, Englisch, Französisch, Niederländisch, Belgisches NiederländischLudografische Angaben
Verlage:
Redaktion:
Autoren:
Illustratoren:
Inventarnummer:
23453
Tags:
ess11
Kategorien:
Figuren bewegen, Laufspiel, Sammeln, Bauen, stapeln
Rezension
Lost Temple
UNSERE REZENSION
Abenteuer in
Südostasien
Lost Temple
Charakterwahl im
Urwald
Es gibt Mechanismen, die schnell in das Oeuvre der Spieleautoren
aufgenommen wurden. Arbeitereinsetzen etwa, also das Aktivieren der unterschiedlichsten
Aktionen durch das Platzieren einer Spielfigur. Caylus von William Attia war
zwar nicht das erste Spiel seiner Art, aber es machte den eigentlich simplen
Mechanismus 2005 massen- und nachahmertauglich. Oder ein jüngeres Beispiel:
Deckbuilding 2008. Untrennbar mit Donald X. Vaccarino und Dominion verbunden,
dauerte es nicht lange, bis andere Autoren und Verlage die Idee aufgriffen.
Vielleicht liegt es daran, dass diese beiden Beispiele viel Freiraum in der
eigentlichen Umsetzung lassen – weder das Mischen von Karten noch das Einsetzen
eines Spielsteines ist eigentlich ein Mechanismus, sondern eher notwendiges
Übel beim Spielen. Aber beide wurden durch einen Kunstgriff zu einem
spieldefinierenden Element aufgewertet. Was diese Überlegungen mit Lost Temple
zu tun haben? In Bruno Faiduttis Spiel findet sich ein Mechanismus, der
eigentlich viel öfter Einsatz finden sollte – er ist überaus flexibel,
hochgradig interaktiv und auch thematisch stimmig. Und er wurde nicht von Bruno
Faidutti erdacht. Aber immer schön der Reihe nach.
Die Spieler verkörpern bei Lost Temple Abenteurer,
die 1927 im Urwald Südostasiens zu einem sagenumwobenen Tempel unterwegs sind.
Das Cover schreit förmlich Indiana Jones und auch der Schachtelinhalt –
ein Spielplan, einige Karten (pro Sprache ein eigener Kartensatz!),
Kartonchips, Kunststoffdiamanten und Spielfiguren – ist stimmig. Die
Illustrationen von Pierô sind wie gewohnt äußert gelungen und schaffen eine
abenteuerlich-exotische Atmosphäre mit der nötigen Portion Augenzwinkern. Im
Grunde ist Lost Temple ein überaus einfaches Laufspiel. Wir ziehen unsere
Figuren Stück für Stück in Richtung des titelgebenden Haupt-Tempels.
Gelegentlich landen wir dabei auf Ereignisfeldern mit verdeckten Plättchen, die
wir umdrehen dürfen. Die Auswirkungen der Plättchen sind primär positiv, aber
um die Sache etwas würziger zu gestalten, finden sich auch negative Ereignisse.
Plättchen liefern entweder Smaragde, Bewegungspunkte, den Startspielermarker
oder Macheten, die wir wiederum benötigen, um Urwald-Felder zu passieren.
Negativ ist der Verlust von gerade hart erarbeiteten Smaragden oder Macheten.
Gelegentlich finden sich dann am Plan noch Tempel- und Dorf-Felder, deren
Funktion nicht sofort bzw. immer zu tragen kommt. So weit so unspektakulär.
Seinen eigentlichen Reiz bezieht Lost Temple nämlich aus dem
Charakterwahl-Mechanismus. Bekannt sein dürfte dieser vor allem aus Ohne Furcht
und Adel; ebenfalls von Faidutti. Wie die Spielregel des 2000 bei Hans im Glück
erschienen Kartenspiels aber verrät, wurde der Mechanismus von Marcel-André
Casasola Merkle erdacht. Zwei Jahre zuvor fand die pfiffige Charakterwahl in Verräter
von Adlung Spiele erstmals Verwendung. Faidutti hat aber Casasola Merkles
Grundidee vor allem in der Interaktion der Charaktere untereinander für Ohne
Furcht und Adel noch verfeinert und nun auch für Lost Temple nahezu
unverändert übernommen.
Zu Beginn jeder Runde werden die neun Charakterkarten
gemischt. Abhängig von der Spielerzahl wird eine gewisse Anzahl an Karten offen
und verdeckt zur Seite gelegt. Bei fünf Spielern werden beispielsweise zwei
Karten offen und eine Karte verdeckt abgelegt. Danach bekommt der Startspieler
die restlichen Karten und wählt eine davon geheim aus, die er auch behält und
verdeckt vor sich ablegt. Die übrigen Karten werden im Uhrzeigersinn
weitergegeben, damit der nächste Spieler aus den verbliebenen Karten wiederum
eine auswählen und vor sich ablegen kann. Dies geht so lange, bis der letzte
Spieler nur mehr zwei Karten zur Auswahl erhält. Die letzte Karte wird
ebenfalls verdeckt abgelegt. Und bereits hier ergibt sich eine interessante
Situation: Der Startspieler weiß, welche Karten im Spiel sind, aber nicht,
welche Karte am Schluss der Runde übrig bleibt. Der zugegebener Maßen recht
hohe Startspielervorteil durch die Vielfalt an wählbaren Charakteren wird
dadurch etwas abgeschwächt. Zumal jeder nachfolgende Spieler zumindest im
Ansatz eine Ahnung hat, was sein Vorgänger gewählt haben könnte und was seinem
Nachfolger zur Verfügung steht.
Warum es wichtig ist, zu erahnen, wer welchen Charakter
gewählt hat, liegt an deren verwobener Funktionsweise. Nachdem alle Spieler
eine Karte gewählt haben, werden die Charaktere – nicht die Spieler! – in einer
vordefinierten Reihenfolge aufgerufen. Als erstes etwa der Schamane, der einen
anderen Charakter – nicht Spieler! – benennen muss, mit dem er zu gegebenem
Zeitpunkt (wenn der entsprechende Charakter aufgerufen wird) Platz tauschen
möchte. Und hier wird das Dilemma klar: Der Schamane ist ausgesprochen mächtig,
kann er die aktuelle Platzierung am Spielplan doch auf den Kopf stellen. Aber
eben nur, wenn er auch einen Charakter wählt, der erstens im Spiel ist und
zweitens einem Spieler gehört, der weiter vorne ist. Im Schlimmsten Fall
katapultiert eine schlechte Wahl den Spieler an die letzte Stelle –
schadenfrohes Gelächter inklusive. Ähnlich gelagert ist der Dieb, der einem
Charakter – genau: nicht Spieler! – alle seine Smaragde stehlen kann. Aber eben
wieder nur, wenn er einen im Spiel befindlichen Charakter wählt, dessen
„Besitzer“ auch Smaragde hat. Diese Plastik-Edelsteine sind quasi die Währung
im Spiel, auf die bestimmte Charaktere zurückgreifen müssen, um sich bewegen zu
können. Der Priester beispielsweise kann zwei Smaragde abgeben, um bis zum
nächsten Tempel-Spielfeld zu ziehen. Der Älteste funktioniert im Grunde
identisch, nur zieht er bis zum nächsten Dorf. Der Forscher hingegen darf seine
Smaragde Eins zu Eins gegen Bewegungsschritte tauschen. Das Kanu (eigentlich
sollte die Karte Kanufahrer heißen) wandelt die Smaragde in doppelt so viele
Bewegungsschritte um; maximal jedoch 20 Schritte. Wer also Smaragde
hortet, um demnächst den Kundschafter oder das Kanu zu nutzen ist ein beliebtes
Ziel für den Dieb. Die Seherin ermöglicht es dem Spieler die Ereignisplättchen
am Plan anzusehen und zu vertauschen. Da es pro Zug nur einen Smaragd Nachschub
gibt, kann es mitunter nötig sein, ein Plättchen mit mehreren Smaragden sich
selbst vor die Nase zu setzen, da die Seherin danach noch ein oder zwei
Schritte machen kann. Der Forscher erhält eine Machete und darf bis zu zwei
Schritte machen. Und schlussendlich das Kind, dass zur nächsten Figur vor sich
aufschließt.
Faidutti hat hier ganz bewusst nicht nur auf einen
bewährten Mechanismus, sondern auch auf eine bewährte Dynamik zurückgegriffen.
Frei nach dem Motto „Ich denke, dass du denkst, weil du dieses und jenes vor
hast ... hoffe ich halt“ entsteht ein heiteres Raten und Spekulieren, wer
denn in seiner gegenwärtigen Situation welchen Charakter gewählt hat. Dabei
sorgt ein Rest an Unsicherheit für die nötige Leichtigkeit. So entsteht kein
stilles Grübeln am Tisch, sondern vielmehr ein lebendiges Mit- und auch
Gegeneinander. Es macht einfach Spaß, mit dem gewählten Charakter heil davon zu
kommen, oder auch den gesuchten Charakter zu „erwischen“. In dieser Hinsicht
wirkt Lost Temple trotzdem etwas zahnloser als Ohne Furcht und Adel.
Es ist nicht ganz so gemein und destruktiv und damit auch deutlich
familientauglicher. Denn wo sich die Spieler bei Faiduttis Klassiker in einem
Hick-Hack verfransen konnten und auch mussten, ist es bei Lost Temple nötig,
die Geschwindigkeit im Auge zu behalten. Es gibt wenig Einnahmequellen, aber
viele Möglichkeiten, Smaragde in Bewegung umzuwandeln. Der dadurch entstehende
Fokus auf die Plastik-Edelsteine konzentriert die Aufmerksamkeit der Spieler
auf ein Element und sorgt somit für Konfliktpotential. Aber auch durch den
Wegfall der Gebäude von Ohne Furcht und Adel, die zusätzliche Funktionen
für sich und in Kombination mit den Charakteren hatten, ist Lost Temple
das zugänglichere Spiel. Der Weg zum Ziel ist klar vorgegeben, bleibt aber bis
zum Schluss spannend. Zwar gibt es Partien, in denen einfach nichts klappen
will, aber dank relativ geringer Spieldauer ist so etwas leicht zu verschmerzen.
Wirklich abgehängt wird sowieso niemand – ein geschickt eingesetzter Schamane
kann das Blatt noch wenden – aber so ein meisterlicher Spielzug muss erst
einmal gelingen. Von eben diesen Situationen und Überlegungen lebt Lost Temple.
Ist der Mechanismus einmal verinnerlicht, dürfen zwei bis acht Spieler in ein
herrliches Familienspiel eintauchen. Wobei bei zwei und drei Spielern immer
zwei Charaktere gewählt werden. Was auch funktioniert und die Sache vielleicht
sogar eine Spur taktischer macht, aber die bessere Stimmung kommt ab vier
Spielern auf. Generell gilt, wie bei so vielen Spielen: je mehr, desto
chaotischer, desto lustiger.
Was die anfängliche Frage betrifft, warum Casasola
Merkles Idee nicht öfter Einsatz findet … auf den erste Blick wirkt der
Mechanismus wesentlich konkreter in seiner Struktur, schließlich ist der
Ablauf, wie Charaktere gewählt werden, klar vorgegeben. Eine so eindeutig
umrissene Struktur zu übernehmen, stellt für viele Autoren sicher eine nicht
unbegründete Hürde dar. Auch wenn das, was mit den gewählten Charakteren
schlussendlich gemacht wird, genauso offen ist, wie etwa das Arbeitereinsetzen.
Und darum wäre es schön, wenn das gelungene Lost Temple nicht das letzte
Spiel seiner Art wäre.
Klemens Franz
Spieler: 2-8
Alter: 10+
Dauer: 40+
Autor: Bruno Faidutti
Grafik: Pierô
Preis: ca. 30 Euro
Verlag: White Goblin Games 2011
Web: www.whitegoblingames.nl
Genre: Laufspiel mit Charakterwahl
Zielgruppe: Für Familien
Spezial: Viele Spieler
Version: multi
Regeln: en, fr, nl, de
Text im Spiel:
Kommentar:
An sich einfaches Laufspiel
Bekannter Mechanismus der Charakterwahl
Vergleichbar:
Ohne Furcht und Adel, Verräter, Tal der Abenteuer
Andere Ausgaben:
Arclight, Japan; Stronghold, USA; Lifestyle Ltd., Rußland
Meine Einschätzung: 6
Kommentar des Rezensenten:
Lost Temple ist der Beweis, dass der bewährte
Charakterwahl-Mechanismus auch in einem Laufspiel funktioniert. Nicht so „böse“
wie seine Vorgänger.
Zufall (rosa): 1
Taktik (türkis): 2
Strategie (blau): 0
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 1
Kommunikation (rot): 0
Interaktion (braun): 3
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0
UNSERE REZENSION
Abenteuer in
Südostasien
Lost Temple
Charakterwahl im
Urwald
Es gibt Mechanismen, die schnell in das Oeuvre der Spieleautoren
aufgenommen wurden. Arbeitereinsetzen etwa, also das Aktivieren der unterschiedlichsten
Aktionen durch das Platzieren einer Spielfigur. Caylus von William Attia war
zwar nicht das erste Spiel seiner Art, aber es machte den eigentlich simplen
Mechanismus 2005 massen- und nachahmertauglich. Oder ein jüngeres Beispiel:
Deckbuilding 2008. Untrennbar mit Donald X. Vaccarino und Dominion verbunden,
dauerte es nicht lange, bis andere Autoren und Verlage die Idee aufgriffen.
Vielleicht liegt es daran, dass diese beiden Beispiele viel Freiraum in der
eigentlichen Umsetzung lassen – weder das Mischen von Karten noch das Einsetzen
eines Spielsteines ist eigentlich ein Mechanismus, sondern eher notwendiges
Übel beim Spielen. Aber beide wurden durch einen Kunstgriff zu einem
spieldefinierenden Element aufgewertet. Was diese Überlegungen mit Lost Temple
zu tun haben? In Bruno Faiduttis Spiel findet sich ein Mechanismus, der
eigentlich viel öfter Einsatz finden sollte – er ist überaus flexibel,
hochgradig interaktiv und auch thematisch stimmig. Und er wurde nicht von Bruno
Faidutti erdacht. Aber immer schön der Reihe nach.
Die Spieler verkörpern bei Lost Temple Abenteurer,
die 1927 im Urwald Südostasiens zu einem sagenumwobenen Tempel unterwegs sind.
Das Cover schreit förmlich Indiana Jones und auch der Schachtelinhalt –
ein Spielplan, einige Karten (pro Sprache ein eigener Kartensatz!),
Kartonchips, Kunststoffdiamanten und Spielfiguren – ist stimmig. Die
Illustrationen von Pierô sind wie gewohnt äußert gelungen und schaffen eine
abenteuerlich-exotische Atmosphäre mit der nötigen Portion Augenzwinkern. Im
Grunde ist Lost Temple ein überaus einfaches Laufspiel. Wir ziehen unsere
Figuren Stück für Stück in Richtung des titelgebenden Haupt-Tempels.
Gelegentlich landen wir dabei auf Ereignisfeldern mit verdeckten Plättchen, die
wir umdrehen dürfen. Die Auswirkungen der Plättchen sind primär positiv, aber
um die Sache etwas würziger zu gestalten, finden sich auch negative Ereignisse.
Plättchen liefern entweder Smaragde, Bewegungspunkte, den Startspielermarker
oder Macheten, die wir wiederum benötigen, um Urwald-Felder zu passieren.
Negativ ist der Verlust von gerade hart erarbeiteten Smaragden oder Macheten.
Gelegentlich finden sich dann am Plan noch Tempel- und Dorf-Felder, deren
Funktion nicht sofort bzw. immer zu tragen kommt. So weit so unspektakulär.
Seinen eigentlichen Reiz bezieht Lost Temple nämlich aus dem
Charakterwahl-Mechanismus. Bekannt sein dürfte dieser vor allem aus Ohne Furcht
und Adel; ebenfalls von Faidutti. Wie die Spielregel des 2000 bei Hans im Glück
erschienen Kartenspiels aber verrät, wurde der Mechanismus von Marcel-André
Casasola Merkle erdacht. Zwei Jahre zuvor fand die pfiffige Charakterwahl in Verräter
von Adlung Spiele erstmals Verwendung. Faidutti hat aber Casasola Merkles
Grundidee vor allem in der Interaktion der Charaktere untereinander für Ohne
Furcht und Adel noch verfeinert und nun auch für Lost Temple nahezu
unverändert übernommen.
Zu Beginn jeder Runde werden die neun Charakterkarten
gemischt. Abhängig von der Spielerzahl wird eine gewisse Anzahl an Karten offen
und verdeckt zur Seite gelegt. Bei fünf Spielern werden beispielsweise zwei
Karten offen und eine Karte verdeckt abgelegt. Danach bekommt der Startspieler
die restlichen Karten und wählt eine davon geheim aus, die er auch behält und
verdeckt vor sich ablegt. Die übrigen Karten werden im Uhrzeigersinn
weitergegeben, damit der nächste Spieler aus den verbliebenen Karten wiederum
eine auswählen und vor sich ablegen kann. Dies geht so lange, bis der letzte
Spieler nur mehr zwei Karten zur Auswahl erhält. Die letzte Karte wird
ebenfalls verdeckt abgelegt. Und bereits hier ergibt sich eine interessante
Situation: Der Startspieler weiß, welche Karten im Spiel sind, aber nicht,
welche Karte am Schluss der Runde übrig bleibt. Der zugegebener Maßen recht
hohe Startspielervorteil durch die Vielfalt an wählbaren Charakteren wird
dadurch etwas abgeschwächt. Zumal jeder nachfolgende Spieler zumindest im
Ansatz eine Ahnung hat, was sein Vorgänger gewählt haben könnte und was seinem
Nachfolger zur Verfügung steht.
Warum es wichtig ist, zu erahnen, wer welchen Charakter
gewählt hat, liegt an deren verwobener Funktionsweise. Nachdem alle Spieler
eine Karte gewählt haben, werden die Charaktere – nicht die Spieler! – in einer
vordefinierten Reihenfolge aufgerufen. Als erstes etwa der Schamane, der einen
anderen Charakter – nicht Spieler! – benennen muss, mit dem er zu gegebenem
Zeitpunkt (wenn der entsprechende Charakter aufgerufen wird) Platz tauschen
möchte. Und hier wird das Dilemma klar: Der Schamane ist ausgesprochen mächtig,
kann er die aktuelle Platzierung am Spielplan doch auf den Kopf stellen. Aber
eben nur, wenn er auch einen Charakter wählt, der erstens im Spiel ist und
zweitens einem Spieler gehört, der weiter vorne ist. Im Schlimmsten Fall
katapultiert eine schlechte Wahl den Spieler an die letzte Stelle –
schadenfrohes Gelächter inklusive. Ähnlich gelagert ist der Dieb, der einem
Charakter – genau: nicht Spieler! – alle seine Smaragde stehlen kann. Aber eben
wieder nur, wenn er einen im Spiel befindlichen Charakter wählt, dessen
„Besitzer“ auch Smaragde hat. Diese Plastik-Edelsteine sind quasi die Währung
im Spiel, auf die bestimmte Charaktere zurückgreifen müssen, um sich bewegen zu
können. Der Priester beispielsweise kann zwei Smaragde abgeben, um bis zum
nächsten Tempel-Spielfeld zu ziehen. Der Älteste funktioniert im Grunde
identisch, nur zieht er bis zum nächsten Dorf. Der Forscher hingegen darf seine
Smaragde Eins zu Eins gegen Bewegungsschritte tauschen. Das Kanu (eigentlich
sollte die Karte Kanufahrer heißen) wandelt die Smaragde in doppelt so viele
Bewegungsschritte um; maximal jedoch 20 Schritte. Wer also Smaragde
hortet, um demnächst den Kundschafter oder das Kanu zu nutzen ist ein beliebtes
Ziel für den Dieb. Die Seherin ermöglicht es dem Spieler die Ereignisplättchen
am Plan anzusehen und zu vertauschen. Da es pro Zug nur einen Smaragd Nachschub
gibt, kann es mitunter nötig sein, ein Plättchen mit mehreren Smaragden sich
selbst vor die Nase zu setzen, da die Seherin danach noch ein oder zwei
Schritte machen kann. Der Forscher erhält eine Machete und darf bis zu zwei
Schritte machen. Und schlussendlich das Kind, dass zur nächsten Figur vor sich
aufschließt.
Faidutti hat hier ganz bewusst nicht nur auf einen
bewährten Mechanismus, sondern auch auf eine bewährte Dynamik zurückgegriffen.
Frei nach dem Motto „Ich denke, dass du denkst, weil du dieses und jenes vor
hast ... hoffe ich halt“ entsteht ein heiteres Raten und Spekulieren, wer
denn in seiner gegenwärtigen Situation welchen Charakter gewählt hat. Dabei
sorgt ein Rest an Unsicherheit für die nötige Leichtigkeit. So entsteht kein
stilles Grübeln am Tisch, sondern vielmehr ein lebendiges Mit- und auch
Gegeneinander. Es macht einfach Spaß, mit dem gewählten Charakter heil davon zu
kommen, oder auch den gesuchten Charakter zu „erwischen“. In dieser Hinsicht
wirkt Lost Temple trotzdem etwas zahnloser als Ohne Furcht und Adel.
Es ist nicht ganz so gemein und destruktiv und damit auch deutlich
familientauglicher. Denn wo sich die Spieler bei Faiduttis Klassiker in einem
Hick-Hack verfransen konnten und auch mussten, ist es bei Lost Temple nötig,
die Geschwindigkeit im Auge zu behalten. Es gibt wenig Einnahmequellen, aber
viele Möglichkeiten, Smaragde in Bewegung umzuwandeln. Der dadurch entstehende
Fokus auf die Plastik-Edelsteine konzentriert die Aufmerksamkeit der Spieler
auf ein Element und sorgt somit für Konfliktpotential. Aber auch durch den
Wegfall der Gebäude von Ohne Furcht und Adel, die zusätzliche Funktionen
für sich und in Kombination mit den Charakteren hatten, ist Lost Temple
das zugänglichere Spiel. Der Weg zum Ziel ist klar vorgegeben, bleibt aber bis
zum Schluss spannend. Zwar gibt es Partien, in denen einfach nichts klappen
will, aber dank relativ geringer Spieldauer ist so etwas leicht zu verschmerzen.
Wirklich abgehängt wird sowieso niemand – ein geschickt eingesetzter Schamane
kann das Blatt noch wenden – aber so ein meisterlicher Spielzug muss erst
einmal gelingen. Von eben diesen Situationen und Überlegungen lebt Lost Temple.
Ist der Mechanismus einmal verinnerlicht, dürfen zwei bis acht Spieler in ein
herrliches Familienspiel eintauchen. Wobei bei zwei und drei Spielern immer
zwei Charaktere gewählt werden. Was auch funktioniert und die Sache vielleicht
sogar eine Spur taktischer macht, aber die bessere Stimmung kommt ab vier
Spielern auf. Generell gilt, wie bei so vielen Spielen: je mehr, desto
chaotischer, desto lustiger.
Was die anfängliche Frage betrifft, warum Casasola
Merkles Idee nicht öfter Einsatz findet … auf den erste Blick wirkt der
Mechanismus wesentlich konkreter in seiner Struktur, schließlich ist der
Ablauf, wie Charaktere gewählt werden, klar vorgegeben. Eine so eindeutig
umrissene Struktur zu übernehmen, stellt für viele Autoren sicher eine nicht
unbegründete Hürde dar. Auch wenn das, was mit den gewählten Charakteren
schlussendlich gemacht wird, genauso offen ist, wie etwa das Arbeitereinsetzen.
Und darum wäre es schön, wenn das gelungene Lost Temple nicht das letzte
Spiel seiner Art wäre.
Klemens Franz
Spieler: 2-8
Alter: 10+
Dauer: 40+
Autor: Bruno Faidutti
Grafik: Pierô
Preis: ca. 30 Euro
Verlag: White Goblin Games 2011
Web: www.whitegoblingames.nl
Genre: Laufspiel mit Charakterwahl
Zielgruppe: Für Familien
Spezial: Viele Spieler
Version: multi
Regeln: en, fr, nl, de
Text im Spiel:
Kommentar:
An sich einfaches Laufspiel
Bekannter Mechanismus der Charakterwahl
Vergleichbar:
Ohne Furcht und Adel, Verräter, Tal der Abenteuer
Andere Ausgaben:
Arclight, Japan; Stronghold, USA; Lifestyle Ltd., Rußland
Meine Einschätzung: 6
Kommentar des Rezensenten:
Lost Temple ist der Beweis, dass der bewährte
Charakterwahl-Mechanismus auch in einem Laufspiel funktioniert. Nicht so „böse“
wie seine Vorgänger.
Zufall (rosa): 1
Taktik (türkis): 2
Strategie (blau): 0
Kreativität (dunkelblau): 0
Wissen (gelb): 0
Gedächtnis (orange): 1
Kommunikation (rot): 0
Interaktion (braun): 3
Geschicklichkeit (grün): 0
Action (dunkelgrün): 0